Donnerstag, 18. Dezember 2008

Schiss vor Frankreich


Gut zwei Wochen sind seit unserem letzten Eintrag vergangen. Wenn es eine Frage gibt, die wir immer wieder zu hören bekommen, dann die: Warum reitet ihr ausgerechnet im Winter? Nachdem wir zwei Tage bei dichtem Schneefall unterwegs waren, wusste ich eine Antwort mehr auf diese Frage, weil ich sonst nicht so schöne Fotos von der eingeschneiten Natur machen könnte. Zwei Wochen, in denen viel passiert ist. Vor allem zwei Wochen, die uns an unsere emotionalen Grenzen und an unsere Ängste brachten. Zermürbt von Nässe und Kälte waren wir, vor allem Gabi, nahe dran, dass Abenteuer zu beenden. Wir haben noch maximal 5 Tagesetappen in Deutschland. Dann kommt Frankreich. Immer wieder trafen wir Leute, die uns ihre schlechten Erfahrungen mit Frankreich erzählen. Gute Wanderkarten im Maßstab von 1:50.000 scheint es auch nicht zu geben, jedenfalls haben wir noch keine gefunden. Wo werden wir mit unseren Pferden Weihnachten verbringen? Wie werden wir mit unseren bescheidenen Französisch Kenntnissen weiterkommen? Bange Fragen, die uns schon vor der Reise kamen und die sich bisher immer wieder wegschieben ließen. Jetzt lassen sie sich nicht mehr wegschieben und wir werden Antworten finden!

Der 58. bis 70. Tag


Insgesamt drei Tage verwöhnten uns Frau und Herr Schillig. Aber am 58. Tag geht es dann doch weiter. Wir sind kaum 30 Minuten unterwegs, da fängt es an zu regnen. Natürlich kommt der Wind aus Westen, so dass wir Stunden lang das kalte Wasser ins Gesicht bekommen. Wir müssen ziemlich Mitleid erregend ausgeschaut haben, denn mehrmals werden wir angesprochen und auf eine heiße Tasse Kaffee eingeladen. Wir lehnen dankend ab, denn wir haben einen weiten Weg zurück zu legen. Nach einigen Stunden machen wir eine kurze Zwangspause, wir müssen das Gepäck noch mal neu richten und etwas essen. Wir haben genug von dem Wetter und von der Reise. Gabi denkt ernsthaft über einen Abbruch der Reise nach und ich beschließe, mir einen Bürojob zu suchen und mich in meiner Freizeit nur noch mit Yoga und Meditation zu beschäftigen. Weiter geht es. Für eine Stunde hört der Regen auf. Wir legen einige Höhenmeter zurück und sind schließlich auf 800 Meter angelangt. Hier wird es plötzlich nebelig und heftiger Schneeregen beginnt. Es wird dunkel und wir müssen mehrfach nach dem Weg fragen. Dann endlich haben wir die Naturreitschule von Andrea Doderer gefunden. Wir versorgen die Pferde und lassen uns dann nass, durchgefroren und erschöpft auf ihrem Sofa vor dem Kamin nieder. Andrea serviert uns Tee und Würstchen und bietet uns an, den nächsten Tag zu bleiben, denn es soll weiter regnen und schneien.

Den 59. Tag bleiben wir bei Andrea. Es schneit weiter, wir erholen uns, kein Internet, kein Telefon, schlafen, reden, schlafen.

Der 60. Tag bringt wieder Sonnenschein. Wieder bewältigen wir einige Höhenmeter, aber diesmal bergab. Von weitem sehen wir schon, wie der Nebel dick im Tal hängt. In einem kleinen Dorf schaut eine Frau aus dem Küchenfenster und erkundigt sich nach unserer Reise. Dann die Überraschung: wir werden mit einer Linzer Torte und mit leckeren Weihnachtsgebäck beschenkt. Wir sind happy. Gegen 16 Uhr haben wir unsere 30 Kilometer geschafft und erreichen die Pferdepension Obernusserhof. Unsere Pferde übernachten in der Reithalle und wir in einer wunderschönen kleinen Ferienwohnung. Der Obernusserhof gefällt uns sehr gut. Es gibt so viele schöne Details, viele tolle Lösungen, die das Leben der Pferde und der Menschen angenehm machen. Das Konzept gefällt uns ebenfalls: es gibt die Abteilung Gnadenbrot Pferde, wo zurzeit 20 Pferde unter optimalen Bedingungen ihren Lebensabend unter Artgenossen verbringen und es gibt den Einstellbetrieb mit großen Paddockboxen, Weideflächen und Reithalle. Das alles in schöner Alleinlage ohne direkte Nachbarn.

Am 61. Tag sind wir wieder ungefähr 30 Kilometer unterwegs. Wir sind erst kurz vor neun gestartet und kommen deshalb erst im Dunkeln bei Toni Grömminger auf dem Hof Hewenblick in Anselfingen an. Wir versorgen die Pferde und werden dann selbst mit einer Vesper, wie die Brotzeit bzw. Jausen hier nun heißt, versorgt. Es gibt lauter leckere Wurstsorten aus eigener Gallowayschlachtung. Am Abend sitzen wir noch lange zusammen und Toni erzählt von seinen USA und Kanada Reisen und seinen Erlebnissen als Cowboy auf den verschiedenen Ranches.

Es hat in der Nacht geschneit und schneit den ganzen Tag weiter. Toni bringt uns ein Stück, die Landschaften sehen wie im Wintermärchen aus, immer wieder staunen wir über schneeverzauberte Natur. Der 62. Tag ist wieder so ein Tag, an dem es Schwierigkeiten mit der näch- sten Unterkunft gab. Wir bekommen eine Absage und bei einer anderen Adresse meldet sich niemand. Wir reiten auf gut Glück los. Unterwegs bekommen wir dann auf einem Pferdehof das Angebot bleiben zu können und am nächsten Tag per Anhänger nach Erzingen gebracht zu werden. Sehr verlockend, doch wir lehnen ab und reiten weiter durch dichten Schneefall. Feldwege sind nur noch zu erahnen. Ich will dauernd anhalten, um zu fotografieren. Dann gegen 14 Uhr kommt der erlösende Anruf von Andrea Burger, wir können die Pferde bei ihr auf die Koppel stellen und selbst im Gasthaus um die Ecke schlafen.

Weiter geht es am 63. Tag bei dichtem Schneefall. Wir kommen gut voran und als wir die Hälfte der Strecke haben, machen wir eine Pause und ich koche uns einen Tee aus Schnee. Ich bin so happy dabei, ich fühle mich, als wären wir in Kanada unterwegs. Wir reiten zu Berni und Christine, unglaublich, plötzlich wird uns das Ausmaß unserer Reise bewusst, weil wir eine Station erreichen, die so unendlich weit weg von zu Hause ist und wo wir jemanden kennen. Über tausend Kilometer sind wir schon unterwegs. Herzlich werden wir von der Familie Winter, den Besitzern des Reitstalles Wolfsgrube und von Christine und Berni Zambail empfangen. Abends nehmen uns die Zambails mit in die Schweiz zu ihrer Hochzeitstagsfeier. Es gibt leckeres Raclette.

64. Tag. Ausschlafen, dass heißt um 7 Uhr erst aufstehen, Pferde füttern, Frühstück und dann… Gabi geht mit Maz und Lady spazieren und ich lege mich wieder hin und schlafe. Wunderbar, so ein zweiter Schlaf, dann kommt Berni. Wir schauen ihm beim Spielen und Reiten seiner Pferde zu, stellen Fragen und Berni teilt sein unglaublich großes Wissen über Horsemanship mit uns. In Berni’s Nähe ist es nahezu unmöglich, nichts zu lernen.

Am 65. Tag gibt es viel zu tun: Vorbereitungen für das Parelli Tournament am nächsten Tag. Am Nachmittag hat Berni Unterricht. Wir dürfen dabei sein. Es ist auch für uns sehr lehrreich, obwohl es nichts Spektakuläres passiert. Wir hören Berni’s Erklärungen und besonders mir fällt auf, dass ich vieles davon schon gehört und wieder vergessen habe. Am Abend sind wir bei Berni und Christine zum Essen eingeladen.


Heute, am 66. Tag, heißt es wieder früh aufstehen, denn bevor wir um 8 Uhr mit Berni zum Parelli Tournament nach Fehraltorf fahren, versorgen und spielen wir noch mit unseren Pferden und Gabi putzt Berni’s Rappen, den Prom, auf Showglanz. Beim Tournament hatten wir eine Menge Spaß, sahen tolle Parelli Horsemanship Vorführungen von den Instruktoren Berni Zambail, Walter Gegeschatz, David Zünd und Carmen Zulauf und trafen sogar einige alte Bekannte wieder.


Der 67. Tag ist für uns ein besonderer Tag, denn Berni hat heute Zeit für uns und unsere Pferde. Wir checken Sättel, verbessern hier und dort etwas. Gabi bekommt Unterricht mit ihrer Maz und dann spielt Berni mit Navajo von seinem Pferd aus. Bei Navajo haben sich einige Respektlosigkeiten eingeschlichen, die ich durch fehlende Konsequenz, fehlende Klarheit und vor allem durch fehlendes Friendly Game selbst verursacht habe. Bitte und Danke, zwei Worte, die die Welt verändern können! Schon so oft gehört, völlig klar und logisch und doch immer wieder vergessen. Am Abend serviert uns Christine echtes Schweizer Käsefondue.

Der 68. Tag ist Gabi’s Wunscherfüllungstag. Erst darf sie Berni’s Pferd Prom reiten, um zu lernen, wie es sich an fühlt, ein Pferd ohne Zügel, nur mit Fokus und Schenkel, zu reiten. Dann spielt Berni mit der Lady. Wir sind fasziniert, wie er Lady liest und wie er mit ihr umgeht. Ruckzuck hat er bei ihr Schulterherein eingebaut. Lady liebt es sich abschleppen zu lassen und sich gegen das Halfter zu lehnen. Schnell macht Berni ihr klar, dass es für sie viel bequemer ist, dass nicht zu tun und statt dessen früh dem Druck nach zu geben. Am Abend sind wir bei den Winter’s zum Vesper eingeladen.

Berni ist für zwei Tage fort und Gabi freut sich, sich um seine Pferde zu kümmern. Ich hole endlich alle Einträge im Tagebuch nach, bearbeite Fotos, bestelle eine neue Isomatte, telefoniere und so weiter und so fort. Zwischendurch spielen wir mit unseren Pferden, Gabi raspelt Hufe und pflegt das Lederzeug, das zum Teil von der Nässe schon ganz schön gelitten hat.